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Warum Begriffsdiskussionen spalten und nicht zielführend sind aber Begriffe dennoch nicht beliebig sein dürfen.
Die sogenannte „Community“ geschlechtsvarianter Menschen, also Menschen, deren Zuweisungsgeschlecht bei der Geburt nicht mit ihrem Wissen über das eigene Geschlecht übereinstimmt herrscht Einigkeit. Wirklich? Nein, nicht wirklich. Einig sind sich diese Menschen im Wesentlichen nur darin, dass die aktuelle Gesetzeslage (Reform bzw. Abschaffung der Transsexuellengesetz von 1981) in Deutschland dringend reformiert gehört und eine Entpathologisierung erfolgen und gleichzeitig die medizinische Versorgung sichergestellt werden muss. Dass auch die gesellschaftliche Akzeptanz – sagen wir mal vorsichtig – noch stark verbesserungswürdig ist, wird innerhalb der „Community“ kaum in Frage gestellt. Auch hier herrscht weitestgehende Einigkeit. Die auf nicht evidenten Studien basierenden Aussagen von Psychiatern und Psychologen, die aus der aktuellen Gesetzeslage (Begutachtung nach TSG) ein lukratives Geschäftsmodell entwickelt haben und sich auch vor politischer Agitation nicht zurückhalten, auch darüber ist man sich einig, dass diesen selbsternannten Experten das Handwerk gelegt werden muss.
Wo liegt also das Problem?
Uneinigkeit, die zuweilen in streitigen Auseinandersetzungen und regelrechten Grabenkämpfen ausgetragen werden, herrscht bei den Begriffen, die geschlechtsvariante Menschen beschreiben sollen bzw. von jeder Person für die eigene Selbstbeschreibung verwendet wird. Man gewinnt den Eindruck, dass die Vereine und Verbände sowie einige lautstarke Personen in erster Linie um die Deutungshoheit der Begriffe streiten und weniger an der Umsetzung der eigentlich gemeinsamen Ziele. Die einen verwenden „trans*“ – mit oder ohne Stern – dafür, um alle Varianten von transsexuell, transident und transgender bis non-binary (nicht binäre Menschen) abzudecken. Wieder andere kritisieren, dass damit eine Vereinnahmung erfolgt und sie in eine Schublade gedrückt werden, mit der sie nicht einverstanden sind. Wieder andere wehren sich gegen jegliche Verwendung des Begriffs „Identität“, da dieser aus dem Wortschatz der Psychologie stammt und deshalb nur einer weiteren Pathologisierung dient bzw. geschlechtliche Vielfalt weiterhin in der Ecke der psychischen Störungen hält.
Für all diejenigen, die sich nicht innerhalb der sogenannten „Community“ bewegen, also in der Regel Menschen, bei denen das Zuweisungsgeschlecht bei Geburt mit ihrem eigenen Geschlechtswissen oder Geschlechtsempfinden übereinstimmt, werden sich nun vielleicht denken: „Wenn der richtige Begriff für das Phänomen das größte Problem dieser Menschen darstellt, dann scheint es nicht wirklich ein Problem von gesellschaftlicher Relevanz darzustellen“. Auch viele Menschen innerhalb der „Community“ sehen dies ähnlich und empfinden die Auseinandersetzungen über die verwendeten Begriffe als leidige und nervige „Begriffsdiskussionen“, die doch nun wirklich zur Genüge durchgekaut wurden. Viel wichtiger wäre doch, die mediale und öffentliche Präsenz geschlechtsvarianter Menschen – egal in welcher Form. Oscar Wilde hat einmal gesagt:
„There is only one thing in the world worse than being talked about, and that is not being talked about.“
Oscar Wilde
Auch dem verstorbenen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß wird nachgesagt, er hätte lieber eine schlechte Presse, als gar keine gehabt. Was für Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen oder Politiker*innen gelten mag, gilt aber für eine Personengruppe, die in Deutschland (und auch Österreich und der Schweiz) seit Jahrzehnten um ihre Anerkennung und eine Verbesserung ihrer Rechtssituation kämpft nicht zwangsläufig. Geschlechtsvariante Menschen wollen keine Steigerung ihrer Verkaufszahlen, mehr Zuschauer*innen oder mehr Wählerstimmen. Es geht für die meisten von ihnen um viel mehr. Um ihr Leben. Die Möglichkeit, ein „ganz normales Leben“ zu führen, ohne Ausgrenzung, ohne Diskriminierung und ohne Angst vor psychischer und physischer Gewalt. Es geht darum einen Leidensdruck zu beseitigen, der nicht durch eine Krankheit ausgelöst wird, sondern vielmehr von ihrem persönlichen Umfeld, der Politik und den Medien.
Wenn es nicht so traurig wäre, vor diesem Zusammenhang erscheinen Begriffsdiskussionen und Kämpfe um Deutungshoheiten tatsächlich lächerlich und grotesk. Doch sind die Auseinandersetzungen wirklich nur Begriffsdiskussionen? Ist es tatsächlich unwichtig, wie man das Phänomen nennt? Ja und Nein. Ja, im Kontext mit den eigentlichen Problemen, die es für geschlechtsvariante Menschen zu lösen gibt. Kein noch so richtiger Begriff sichert den Arbeitsplatz einer geschlechtsvarianten Person. Kein noch so richtiger Begriff verhindert einen tätlichen Angriff in der Straßenbahn. Und nein, wenn man sich bewusst wird, was Begriffe verursachen können. Die unüberlegte Verwendung mancher Begriffe sind mitunter dafür verantwortlich, dass die Probleme, die politische und rechtliche Situation für geschlechtsvariante Menschen so sind, wie sie aktuell eben sind.
„Man muß einfach reden, aber kompliziert denken –
Franz Josef Strauß
nicht umgekehrt“
In meinem Beitrag „Die Verantwortung der Medien“ habe ich bereits auf die Wirkung von Sprache hingewiesen. Ich möchte aus diesem Beitrag einen Abschnitt wiederholen:
Gerne verwenden Medien auch Adjektiv-Nomen-Verbindungen wie z.B. »Transmensch«, »Transfrau« oder »Transmann«. Ich kritisiere diese Adjektiv-Nomen-Konstrukte aufs Schärfste. Warum? Transsexuell, transident oder transgender zu sein, stellen Eigenschaften eines Menschen dar. Ein Hund mit braunem Fell wird dadurch nicht automatisch zu einem Braunhund. Nicht alle Vögel mit roter Kehle sind Rotkehlchen und Menschen mit bloden Haaren werden nicht zu Blondmenschen. Bisher ist mir noch nicht untergekommen, dass Medien homosexuelle Menschen als Schwulmenschen bezeichnen. Die Adjektiv-Nomen-Verbindung, wie zum Beispiel »trans« und »Mensch« zu »Transmensch« (analog gilt das natürlich auch für Menschen mit Intersexualität) schafft eine neue Art. Eine neue Art eines Menschen. Geschlechtsvariante Menschen sind Menschen aber keine Unterart des Menschen, wie z.B. der ausgestorbene Neandertaler.
Die Art und Weise, wie wir uns selbst beschreiben, wie wir uns selbst benennen, wird von unserem Gegenüber zunächst unbewusst wahrgenommen. Auch wenn eine Person sich selbst als „Transmann“ (oder „Transfrau“) bezeichnet oder benennt, löst dies bei einem Menschen, der nie zuvor mit der Thematik in Berührung kam und somit wenig bis kein Vorwissen hat, eine natürliche Reaktion im Gehirn aus. Die Person kann mit dem Begriff zunächst nichts anfangen. Also beginnt das Gehirn anhand von Heuristiken, aufgebautem Erfahrungswissen und epistomologischen Überzeugungen und Stereotypen eine Einordnung des Begriffs vorzunehmen. Man kann als geschlechtsvariante Person nun Glück haben und man interagiert mit einer Person, die ihr fehlendes oder lückenhaftes Wissen durch Neugier und Nachfragen auszugleichen versucht. Es eröffnet sich die Chance, einen Menschen das Phänomen zu erklären.
Man kann aber auch Pech haben und die Person verbleibt bei ihren Stereotypen, die sich meist durch mediale Berichterstattung aufgebaut haben oder aus Restwissen aus dem Biologieunterricht besteht. Da bei einer medialen Berichterstattung in der Regel keine Chance besteht, Informationen, die nicht sofort verstanden werden, schnell und individuell angepasst nachzureichen, besteht die große Gefahr, dass der oben beschriebene zweite Fall (Pech) eintritt. Ein zusätzliches Risiko besteht, da normalerweise eine andere Person (Journalist*in, Redakteur*in) den Beitrag verfasst und eigene Sichtweisen und Erklärungen in den Beitrag einfließen lässt. Es ist unschwer zu erkennen, ein unüberlegt verwendeter Begriff kann durchaus die eigentliche gute Absicht eines Medienberichts ins Gegenteil verdrehen.
Welcher Begriff ist denn nun der Richtige?
Ich maße mir nicht an, für andere zu sprechen und deren Selbstbezeichnung zu kritisieren oder gar in Frage zu stellen. Auch steht es mir nicht zu, einer Person mehr oder weniger Glaubwürdigkeit bezüglich der eigenen Selbstaussage zu schenken. Dennoch halte ich mich mit Kritik an medialer Berichterstattung zu geschlechtsvarianten Menschen oft nicht zurück. Meine häufigste Kritik richtet sich, wie kann es anders sein, gegen die verwendete Sprache, neudeutsch: Wording. Nicht selten bekomme ich für meine Kritik die Schelte der „Community“ und die Anfangs erwähnten Aussagen, dass Begriffe doch unwichtig wären. Klarstellen möchte ich, dass ich in der Regel nicht die im Bericht benannte Person kritisiere, sondern meist die verwendete Sprache – siehe „Die Verantwortung der Medien“, also den Autor bzw. die Autorin des Berichts.
Gleichzeitig appelliere ich an alle geschlechtsvarianten Menschen, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden, wenn sie Aussagen tätigen, die ihre Person betreffen, aber von den Journalist*innen als allgemeingültig beschrieben werden (Anmerkung: Auch hier gilt die Kritik wieder den Autor*innen und nicht den „betroffenen“ Personen).
Es gibt also keinen allgemeinen und einzigen, für jede geschlechtsvariante Person gültigen Begriff, der eine geschlechtliche Selbstaussage eindeutig beschreibt. Deshalb kann es also sein, dass die eine Person sich als transsexuell, die andere als transgender und wieder eine andere als transident bezeichnet. Das Einzige was unerschütterlich und allgemeingültig feststeht:
Nur der Mensch selbst kann eine Aussage zu seinem eigenen Geschlecht machen. Und diese Aussage ist zu akzeptieren.
Du möchtest über deinen persönlichen Lebensweg als geschlechtsvarianter Mensch in den Medien berichten und sicherstellen, dass du richtig bezeichnet wirst und dein Geschlecht korrekt zum Ausdruck gebracht wird? Dann nutze einfach die Checkliste für Medienschaffende (ausfüllbares PDF-Formular)…