Was kostet ein Verfahren nach dem Transsexuellengesetz?

Die meisten transgeschlechtlichen Personen in Deutschland sind davon ausgegangen, dass die Frage, wieviel ein TSG-Verfahren kostet durch das angekündigte Selbstbestimmungsgesetz und der Abschaffung des Transsexuellengestz obsolet geworden ist. Nachdem das Selbstbestimmungsgesetz weiter auf sich warten lässt und ein mögliches Inkrafttreten derzeit in weiter Zukunft liegt, wird für manche transgeschlechtliche Person ein Verfahren nach dem Transsexuellengesetz wieder eine Option. Häufig wird gefragt, was kostet eine Vornamens- und Personenstandsänderung nach dem „Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG)“ eigentlich? Und wie bei juristischen Angelegenheit üblich, lautet die Antwort: „Es kommt darauf an.“

Die Juristinnen Laura Adamietz und Katharina Bager erstellten im Jahr 2016 ein Gutachten zum Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen. Nach Adamietz und Bager (2016, S. 195) betrugen die Gesamtkosten für ein TSG-Verfahren im Jahr 2013 durchschnittlich € 1.868. Davon entfielen im Schnitt € 1.660 auf die Vergütung der Sachverständigen (Gutachter*innen) und € 208 auf die gerichtlichen Verfahrenskosten.

Durchschnittliche TSG-Verfahrenskosten  2013

Quelle: Adamietz und Bager 2016, S. 195

Gutachten

Das Transsexuellengesetz schreibt in § 4 Abs. (3) vor, dass…

Das Gericht darf einem Antrag nach § 1 nur stattgeben, nachdem es die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt hat, die auf Grund ihrer Ausbildung und ihrer beruflichen Erfahrung mit den besonderen Problemen des Transsexualismus ausreichend vertraut sind. Die Sachverständigen müssen unabhängig voneinander tätig werden; in ihren Gutachten haben sie auch dazu Stellung zu nehmen, ob sich nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft das Zugehörigkeitsempfinden des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird.

Das Gesetz regelt nicht, wie die Gutachten konkret durchzuführen sind, wie lange die Begutachtung dauern kann oder muss, wie die Gutachter*innen zu ihrer Erkenntnis kommen und welche Verfahren oder Methoden angewandt werden können oder müssen. Gutachter*innen sind also fast vollkommen frei, wie sie die Bedingungen den § 1 Abs. 1 und 2 feststellen. Mit dem Beschluss 1 BvR 747/17 vom 10. Oktober 2017 hat das Bundesverfassungsericht festgestellt, dass die Begutachtung nach dem TSG nicht verfassungswidrig ist. Jedoch hat das Bundesverfassungsericht in Absatz 12 des Beschlusses die Bedingungen für die Gutachten konkretisiert und die Rechte der antragstellenden Personen gestärkt.

a) Die Begutachtung nach § 4 Abs. 3 TSG darf sich nur auf solche Aspekte beziehen, die für die sachliche Aufklärung der in § 1 Abs. 1 TSG normierten Voraussetzungen des Namens- und Personenstandswechsels relevant sind. Wenn sich … Begutachtungen nach § 4 Abs. 3 TSG in der Praxis auf Informationen erstrecken sollten, die nach heute geltenden diagnostischen Kriterien zur Feststellung der Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 TSG nicht relevant sind, ist dies durch § 4 Abs. 3 TSG nicht gedeckt. Vor allem wegen des regelmäßig intimen Charakters der Fragen, die in der Begutachtung nach § 4 Abs. 3 TSG gestellt werden, beeinträchtigt dies die Grundrechte der Betroffenen. Die Gerichte haben daher bei der Erteilung des Gutachtenauftrags und bei der Verwertung des Gutachtens insbesondere darauf zu achten, dass die Betroffenen nicht der Begutachtung hinsichtlich solcher Fragen ausgesetzt sind, die für die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 TSG keine Bedeutung haben. Außerdem darf das Gutachtenverfahren nach § 4 Abs. 3 TSG nicht dazu genutzt werden, die Betroffenen zu einer therapeutischen Behandlung ihrer (als vermeintliche Krankheit begriffenen) Transsexualität hinzuführen.

Damit hat das Bundesverfassungsgericht eingeschränkt, was konkret begutachtet werden muss. Überflüssige Tests und Untersuchungen, die Transgeschlechtlichkeit im Sinne einer psychischen Erkrankung betrachten oder die antragstellende Person zu einer Therapie bewegen sollen, wurden damit ausgeschlossen.

Berechnungsgrundlage für Gutachten

Die Grundlage für die Berechnung der Kosten eines Gutachtens bildet das „Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz – JVEG)“ und die Anlage 1 zu Paragraf 9. Der Kostensatz für Gutachten nach dem Transsexuellengesetz findet sich in Teil 2 „Gegenstand medizinischer oder psychologischer Gutachten“ in der Honoragruppe M3. Die Honorargruppe M3 gilt für „Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad (Begutachtungen spezieller Kausalzusammenhänge und/oder differenzialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilung der Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen)“. In Punkt 22 werden „Verfahren nach dem Transsexuellengesetz“ benannt. Der Stundensatz beträgt (Stand Dezember 2023) € 120,00. Das bedeutet, dass Gutachter*innen, welche vom zuständigen Amtsgericht mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt werden, nach der §9 JVEG Anlage 1 nach der Honoragruppe M3 – und damit mit € 120,00 pro Stunde – abzurechnen haben. Unterliegt eine begutachtende Person der Mehrwertsteuerpflicht (besteht ab einem Jahresumsatz von € 17.500), kommen derzeit noch 19% Mehrwertsteuer auf den Stundensatz von € 120,00 dazu. Da die antragstellenden Personen natürliche Personen und die Vornamens- und Personenstandsänderung keine gewerbliche „Tätigkeit“ darstellt, also nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist, betragen die tatsächlichen Kosten somit € 142,80 pro Stunde.

Beispielrechung
Manche Amtsgerichte verlangen bei der Abrechnung des Gutachtenauftrags die Aufschlüsselung der einzelnen durchgeführten Tätigkeiten minutengenau. Die in nachfolgender Beispielrechnung aufgeführten Positionen und Werte sind nur exemplarisch. Sie können von Gutachter*in zu Gutachter*in, selbst innerhalb des selben Verfahrens (1. und 2. Gutachten), mitunter deutlich abweichen.

Terminierung39 Minuten
Aktenstudium inkl. bereitgestellter Unterlagen29 Minuten
Literaturrecherche27 Minuten
Exploration/Fremdanamnese/Covid-Testung62 Minuten
Anfertigung des Gutachtens63 Minuten
Diktat und Korrektur74 Minuten
Druck und Vervielfältigung16 Minuten
310 Minuten

310 Minuten : 60 = 5,2 Stunden á 120,00 Euro = € 624,00
Zwischensumme gerundet € 630,00
zzgl. 19 % ges. Mehrwertsteuer (€ 119,70)
Gesamtbetrag € 749,70
Hinzu kommen evtl. noch Positionen wie z.B. Bürokostenpauschale, Porto und Versand.

Wie bereits erwähnt, gibt es keine gesetzliche oder behördliche Regelung, wie eine Begutachtung durchzuführen ist und wie lange ein Begutachtungsverfahren dauern kann. Dadurch sind die Kosten für ein Gutachten schwer vorherzusehen. Es wird allgemein davon ausgegangen, dass ein fachgerechtes, dem Gericht genügendes Gutachten nicht in 2 bis 3 Stunden zu erstellen ist. Somit sind Kostenrechnungen für Gutachten mit 4 bis 5 Stunden als „günstig“ anzusehen. Es gibt aber durchaus Gutachter*innen, welche ihre „Möglichkeiten“ ausschöpfen und deutlich längere Zeiten abrechnen. Es muss aber erwähnt werden, dass es auch Gutacher*innen gibt, die es für nicht angemessen erachten, in „einfachen Fällen“ mehr als 3 Stunden abzurechnen. Manchmal sind Begutachtungen tatsächlich umfangreicher und zeitaufwändiger, wenn zum Beispiel fremdsprachliche Unterlagen (Geburtsurkunden, amtliche Urkunden/Papiere etc.) übersetzt werden müssen, Termine nicht eingehalten oder in ganz seltenen Fällen auch Gespräche aufgrund von Krankheit oder psychischer Belastung auf mehrere Termine verteilt werden müssen.

Gerichtskosten

Neben den Kosten für die Gutachten werden der antragstellenden Person auch die Kosten des gerichtlichen Verfahrens in Rechnung gestellt. Die Gerichtskosten richten sich nach Anlage 2 des Gerichtskostengesetz (GKG). Bei einem Verfahren nach dem Transsexuellengesetz gibt es keinen Streitwert, an dem sich die Gerichtskosten orientieren. Deshalb setzen die Amtsgerichte einen „virtuellen Streitwert“, den Verfahrenswert fest, an dem die eigentlichen Gerichtskosten berechnet werden.

VerfahrenswertGebühr in €
1.00058,00
1.50078,00
2.00098,00
3.000119,00
4.000140,00
5.000161,00
6.000182,00
7.000203,00
8.000224,00
9.000245,00
10.000266,00
13.000295,00
16.000324,00
19.000353,00
22.000382,00
25.000411,00
30.000449,00
35.000487,00
40.000525,00
50.000601,00
Quelle: Bundesamt für Justiz, Gerichtskosten Stand 2020

Viele Antragstellende sind verunsichert, wenn sie vom zuständigen Amtsgericht bei einer Vorschussrechnung einen Verfahrenswert von € 5.000 oder mehr lesen. Dieser Betrag ist nicht der „zu zahlende Betrag“ sondern der Betrag, den das Amtsgericht als „virtuellen Streitwert“, also den Verfahrenswert festgelegt hat. Der tatsächlich zu zahlende Betrag bei einem Verfahrenswert von € 5.000 beträgt € 161,00. Die festgesetzten Verfahrenswert variieren von Amtsgericht zu Amtsgericht. Manche Gerichte setzen hier Verfahrenswerte von € 3.000 an. Andere legen den Verfahrenswert auf € 5.000 oder sogar höher an.

Was kosten denn nun ein TSG-Verfahren?

Wie die vorgenannten Erläuterungen aufzeigen, ist die Frage nicht eindeutig zu beantworten. Es hängt vom jeweiligen Amtsgericht (Festlegung des Verfahrenswert) und den, vom Gericht beauftragten Gutachter*innen ab. Antragstellende Personen wissen also vor Beginn ihres TSG-Verfahrens nicht, welche Kosten auf sie zukommen werden.

Nachfolgend ein Ausschnitt aus einer echten Gerichtsrechnung (von 2021), welche die möglichen Differenzen zwischen zwei Gutachten verdeutlicht.

Manche Gerichte stellen bei Verfahrenseröffnung einen Kostenvorschuss in Rechnung. Der Kostenvorschuss bewegt sich i.d.R. in der Höhe der Erfahrungswerte der letzten Jahre des betreffenden Amtsgerichts. Auch hier gibt es keine gesetzliche Regelung oder Verordnung, welche die Höhe eines Kostenvorschusses festlegt. Sollte der Vorschuss die Gesamtkosten des Verfahrens (Gutachtenkosten + Gerichtskosten) nicht decken, so wird der Mehrbetrag nachgefordert. War der Vorschuss höher als die Gesamtkosten des Verfahrens, erfolgt eine Erstattung des zu viel bezahlten Betrags an die antragstellende Person.

Für Personen, welche sich die Kosten des Verfahrens nicht leisten können, steht die sog. Prozesskostenhilfe zur Verfügung. Auch Ratenzahlungen an das Gericht sind in begründeten Fällen möglich.
Informationen dazu finden sich hier: Prozesskostenhilfe

Fraglich ist, ob ein Gutachten nach dem Transsexuellengesetz tatsächlich ein „Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad“ darstellt, da es sich im Wesentlichen um die Wiedergabe des transgeschlechtlichen Lebenslaufs (meist in Form einer „biografischen Anamnese“) aufgrund der Schilderungen der antragstellenden Person und den daraus gezogenen Schlüssen der begutachtenden Person handelt. Weitergehende psychologische oder körperliche Untersuchungen können nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 747/17) als nicht „tatbestandsrelevant“ interpretiert werden. Zumal es keine wissenschaftliche evidente Methode zur Feststellung einer Transgeschlechtlichkeit gibt, bleibt die „Diagnose Transgeschlechtlichkeit“ auf der Selbstaussage der antragstellenden Person begründet.


Quellen:

Adamietz, Laura und Katarina Bager. 2016. Gutachten: Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen, Begleitmaterial zu Innenministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität. Band 7. Berlin, Projektleitung: Dr. Sarah Elsuni, Lehrstuhl für Öffentliches Recht & Geschlechterstudien, Humboldt-Universität zu Berlin, Juristische Fakultät, Unter den Linden 9, 10099 Berlin. https://www.bmfsfj.de/blob/114064/460f9e28e5456f6cf2ebdb73a966f0c4/imag-band-7-regelungs–und-reformbedarf-fuer-transgeschlechtliche-menschen—band-7-data.pdf, Zugegriffen: 03. 01.2024