Vor fünf Jahren, am 15.07.2015 führte Irland ein Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung ein[1]. Irland folgte mit diesem Gesetz unmittelbar nach Malta[2]. Auch in Malta existiert ein ähnliches Gesetz seit nun fünf Jahren (01.04.2015). Die Gesetze dieser Länder legen fest, dass jeder Mensch durch einfache Erklärung beim zuständigen Amt (i.d.R. das Geburtsstandesamt) den Eintrag im Geburtsregister ändern lassen kann. Es sind keine psychologischen/psychiatrischen Gutachten, keine ärztlichen Atteste oder langwierige und teure Gerichtsverfahren notwendig. Beide Staaten gelten als katholisch und eher christlich-konservativ geprägt.
Vor Einführung dieser Selbstbestimmungsgesetze – die es übrigens auch in Argentinien, Portugal, Norwegen und anderen Ländern gibt – wurden von einigen Gruppen Horrorszenarien an die Wand gemalt. Radikalfeministische Gruppen befürchteten, dass nun Männer in Schutzräume für Frauen eindringen könnten, indem sie sich einfach zur Frau erklären. Frauen wären nun in Umkleideräumen und Duschen nicht mehr vor den Übergriffen von Männern in Frauenkleidern geschützt. Vergewaltigungen würden mit solchen Gesetzen legitimiert oder könnten nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden. Und wenn ein Mann wegen einer Sexualstraftat verurteilt wird, dann könnte er sich zur Frauen erklären und in Frauengefängnissen weiter sein Unwesen treiben.
Rechtskonservative Politiker*innen spekulierten, dass sich nun junge Männer einfach vor der (in manchen Ländern noch existierenden) Wehrpflicht drücken könnten, indem sie ihren Personenstand ändern lassen. Wieder andere glaubten, dass sich Männer damit Zugang zu Förderungsprogrammen für Frauen und Mädchen oder quotierten Stellen (z.B. in Hochschulen) verschaffen könnten. Unternehmen könnten bei der Besetzung von Führungspositionen weiterhin nur Männer einstellen, diese müssten sich ja nur zur Frau erklären.
Ganz besonders aktiv im Kampf gegen die geschlechtliche Selbstbestimmung waren und sind religiöse Organisationen, allen voran evangelikale Gruppierungen aus den USA, die orthodoxe und die katholische Kirche vor allem in den östlichen europäischen Ländern. Auch deutsche konservative Politiker*innen sehen in den Selbstbestimmungsgesetzen den Untergang der westlichen Welt, der Zerstörung der klassischen Familie und der Moral.
Der konservative Bundestagsabgeordnete Axel Müller (CDU) vertritt die Ansicht[3], die Glaubwürdigkeit des Personenstandsregisters in Deutschland wäre gefährdet, man könne sich dann nicht mehr darauf verlassen. Einige fürchten auch eine Überlastung der Standesämter und wieder andere „Wertkonservative“ und „besorgte Bürger“ glauben, dass viele einfach so zum Spaß oder aus einer Laune heraus ihr „Geschlecht ändern“ werden. Ganz zu schweigen von denen, die davor warnen, dass die Zahl derer ins Uferlose steigt, die ihr Geschlecht mehrmals, nach Lust und Laune gerade so ändern lassen, wie es ihnen Moment gerade passt.
Unter dem Kampfbegriff „Gender-Gaga“ werden alle als verrückt erklärt, welche ein Gesetz für einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag fordern, wie ihn zum Beispiel die Grünen, die Linken und die FDP auch für Deutschland vorgeschlagen haben.
In Anbetracht dessen müssen die Schweizer wohl gerade verrückt geworden sein. Denn dort wurde am 18.12.2020 vom Nationalrat und vom Ständerat ein Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung mit großer Mehrheit verabschiedet. Zuvor haben die Schweizer in einer Volksbefragung für ein solches Gesetz gestimmt. Droht der Schweiz nun der Untergang? Sterben die Schweizer bald aus?
Von rechten, evangelikalen und radikalfeministischen Kreisen wird vermehrt von einem „Transgender-Hype“ gesprochen. Die Zahl der Jugendlichen, die „ihre Geschlecht ändern wollen“ würde ständig steigen. Und leichtfertig würden medizinische und operative Maßnahmen durchgeführt. Es wird auf britische „Genderkliniken“ verwiesen, in denen „Geschlechtsumwandlungen am Fließband“ erfolgen würden. Die Anzahl derer, die ihre Entscheidung bereuen – sog. Regretter bzw. Detransitioner – würden immer mehr. Dass hier eine mediale Stimmungsmache betrieben wird und die Zahl der Jugendlichen, die ihre Vornamens- und Personenstandsänderung bereuen würden zeigte sich, als der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Alexander Korte dazu am 02.11.2020 bei der Expertenanhörung des Deutschen Bundestags äußerte (siehe: im Video ab 1:53:40).
Zeit für eine Bilanz
Nun sind fünf Jahre seit der Einführung des „Gender Recognition Act“, dem Selbstbestimmungsgesetzes in Irland in vergangen und es ist an der Zeit, eine Bilanz zu ziehen. Was ist von den Horrorszenarien eingetreten? Wie hoch ist die Zahl der Übergriffe auf Frauen von „Männern, die sich als Frau erklärten“? Haben die Iren tatsächlich aus der vielbeschworenen Bierlaune heraus die Standesämter gestürmt und haben ihren Geschlechtseintrag geändert. Hat sich die Gefährdung von Frauen und Mädchen durch „Männer, die sich zur Frau erklärten“ (Self-ID) tatsächlich erhöht?
Erste Zwischenberichte Ende 2016 aus Irland zeigten, dass vom 04.09.2015 bis 31.12.2016 insgesamt 198 Menschen vom „Gender Recognition Act“ Gebrauch machten[4]. Davon waren acht Personen zwischen 16 und 17 Jahre alt. Die letzte Veröffentlichung des „Anual Reports[5]“ gibt an, dass seit Einführung des Gesetzes insgesamt 431 Erklärungen zur Änderung des Personenstands bei den Standesämtern eingegangen sind. Davon wurden 422 genehmigt. Bei einer Einwohnerzahl von 4,96 Mio. haben also 0,0085 % der Bevölkerung Irlands die Möglichkeit zur Änderung ihres Geschlechtseintrags in Anspruch genommen. Es scheinen also nicht sehr viele dieser vielfach befürchteten Bierlaune gefolgt zu sein und haben aus Spaß und einer Laune heraus ihren Geschlechtseintrag ändern lassen. Auch zu einer Überlastung der Standesämter ist es mit 431 Anträgen im Zeitraum von vier Jahren sicherlich nicht gekommen. Es wurde bisher auch nicht darüber berichtet, dass Irland untergegangen ist. Trotz „Gender Recognition Act“ ist bleibt das Bevölkerungswachtstum Irlands seit 2015 in einem relativ stabilen und gesunden Bereich von ~1% jährlich.
Viel heiße Luft um nichts!
Doch wie ist es um die Schreckensszenarien mit der angeblich steigenden Gewalt und sexueller Übergriffe gegen Frauen und Mädchen bestellt? Auch hierzu gibt es Zahlen und Fakten. Das UCLA School of Law des renommierten Williams Institute von Hasenbush, Flores und Herman mit dem Titel „Gender Identity Nondiscrimination Laws in Public Accommodations: a Review of Evidence Regarding Safety and Privacy in Public Restrooms, Locker Rooms, and Changing Rooms“[6] veröffentlichte Untersuchungen über Regionen in den USA die über Verordnungen bzw. Gesetze verfügen, die Menschen einen Zugang zu Einrichtungen nach der geschlechtlichen Selbstaussage ermöglichen. Es ging u.a. um die mittlerweile auch bei uns in Deutschland medial sehr stark präsente „Toilettenfrage“ bzw. wer darf in welche Umkleidekabine. Die „Toilettenfrage“ ist schon mehrfach Ziel wissenschaftlicher Untersuchungen und Erhebungen geworden. Neben Cooper et al. (2016)[7], hat sich auch Davis (2017) in „Why the ‚transgender‘ bathroom controversy should make us rethink sex-segregated public bathrooms“[8] ausgiebig damit auseinandergesetzt. Die Daten der aktuellen US-Studie von Hasenbush et al. (2019) stammen aus öffentlichen Aufzeichnungen und Berichten über kriminelle Vorfälle im Zusammenhang mit Übergriffen, Sexualverbrechen und Voyeurismus in öffentlichen Toiletten, Umkleideräumen, und Umkleidekabinen und um Verletzungen der Sicherheit und Privatsphäre in diesen Räumen. Die Studie zeigt, dass die Existenz solcher Gesetze nicht mit der Anzahl oder Häufigkeit von kriminellen Vorfällen in diesen Räumen korrelieren. Außerdem zeigt die Studie, dass Berichte über Verletzungen der Privatsphäre und und Sicherheitsverletzungen in öffentlichen Toiletten, Umkleideräumen und Umkleidekabinen generell äußerst selten sind. Es wurden eindeutige Beweise dafür geliefert, dass Befürchtungen, dass es infolge von Antidiskriminierungsgesetzen zu vermehrten Verletzungen der Sicherheit und der Privatsphäre kommt, empirisch nicht begründet sind. Bemerkenswert ist zudem, dass die Durchführenden der Studie in den USA keine behördliche Statistik, keine Informationen und keine offiziellen Daten oder Studien finden konnten, die die Aussage, dass Antidiskriminierungs- oder Selbstbestimmungsgesetze für eine Zunahme von Übergriffen auf Frauen und Mädchen belegen können.
„Unter öffentlichen Aufzeichnungen und statistischer Modellierung fanden sich keine
Hasenbush et al. 2019, S. 77
Beweise dafür, dass die Privatsphäre und Sicherheit in öffentlichen Toiletten als Folge der Verabschiedung von GIPANDOs (Anmerkung: gender identity inclusive public accommodations nondiscrimination ordinances) gefährdet wäre.“
1000 Mal NICHT berührt und 1000 Mal ist NICHTS passiert!
[1] Gender Recognition Act Irland
[2] Gender Recognition Act Malta
[3] Parlamentsfernsehen (17.05.2019): Deutscher Bundestag – Mediathek
[4] Department of Social Protection, Gender Recognition – Anual Reports
[5] Anual Report for 2018 under section 6 of the Gender Recognition Act 2015
[5] Hasenbush, A., Flores, A. R., Herman, J. L. (2019). Gender Identity Nondiscrimination Laws in Public Accommodations: a Review of Evidence Regarding Safety and Privacy in Public Restrooms, Locker Rooms, and Changing Rooms. Sexuality Research and Social Policy, Issue 1/2019; 16, S. 70-83
[7] Cooper, B., Cox, D., Lienesch, R., & Jones, R. P. (2016). Majority of Americans Oppose Laws RequiringTransgender Individuals to Use Bathrooms Corresponding to Sex at Birth Rather than Gender Identity. Washington, DC, PRRI
[8] Davis, H. F. (2017). Why the „transgender“ bathroom conroversy should make us rethink sex-segregated public bathrooms. Politics, Groups, and Identities, 6(2), S. 199-216.