Würde ein deutscher Politiker einer demokratischen Partei heute eine solche Aussage treffen, es würde sicherlich für einen Aufschrei sorgen, vor allem bei Frauen. Schließlich feiern wir in diesem Jahr „70 Jahre Grundgesetz“, das in Artikel 3 allen Menschen vor dem Gesetz die gleichen Rechte zusichert. Politiker nahezu jeder Couleur betont derzeit, die Wichtigkeit der ersten drei Artikel unseres Grundgesetzes. Deutschland könne stolz darauf sein, vor 70 Jahren damit eine rechtsstaatliche Basis geschaffen zu haben, damit eine Ausgrenzung und Verfolgung von Menschen wie zur Zeit der Nationalsozialistischen Diktatur, für immer gebannt wäre.
Am 17.05.2019, dem sog. IDAHOT (International Day Against Homophobia and Transphobia), fand im Deutschen Bundestag eine aktuelle Stunde zum Thema „Maßnahmen gegen Homo- und Transfeindlichkeit und für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ statt. Als erster Redner trat der oberschwäbische Richter und Abgeordnete Axel Müller (CDU) ans Pult. Lassen wir das anfängliche, partei- und wahlpolitische Geplänkel weg und gehen wir direkt ans Ende seiner Rede, als es um die derzeitige, im Eiltempo angestrebte Reform des Transsexuellengesetzes ging. Durch unflätige Zwischenrufe der AfD, sichtlich emotional aufgewühlt, sagte Axel Müller:
„Nein, es ist nicht alles das Gleiche. Gleiches wird gleich und Ungleiches wird ungleich behandelt. Intersexualität und Transsexualität sind eben nicht gleich und können daher auch nicht gleich behandelt werden… Deshalb kann es auch nicht sein, dass für Transsexuelle bei der Änderung des Personenstandsgesetzes die gleichen Anforderungen verlangt werden wie für Intersexuelle oder umgekehrt.„
Plenarprotokoll 17.05.2018, S. 12505, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19102.pdf#P.12503
Medial wurde die Rede von Axel Müller wenig bis gar nicht beachtet. Den Medien sind die Bestrebungen der Regierung, mit einer Reform des Transsexuellengesetzes die Fremdbestimmung durch Gutachter, Gerichte und die Stigmatisierung als psychisch Kranke für die nächsten Jahre zu zementieren meist nicht mal eine Randnotiz wert (mit Ausnahme der Süddeutschen Zeitung vom 23.05.2019). Die Lebensrealität transsexueller und intersexueller Personen in Deutschland sieht ganz anders aus, als uns die privaten Fernsehkanäle und Boulevardzeitungen zeigen. Sie ist meist geprägt von Ausgrenzung, Diskriminierung, Jobverlust oder dem Zerbrechen von partnerschaftlichen Beziehungen. Die mediale Berichterstattung über transsexuelle und intersexuelle Menschen beschränkt sich jedoch meist auf das Bedienen des Voyeurismus von Teilen der Leser- oder Zuschauerschaft oder von Christopher Street Day-Paraden und „Männern in Frauenkleidung“.
Doch zurück zur Rede von Axel Müller. Dieser eine Satz, „Gleiches wird gleich und Ungleiches wird ungleich behandelt“ enthält eine enorme politische Sprengkraft. Ein Potential, das die Grundfeste unseres Grundgesetzes zum Einsturz bringen kann. Man kann sich nun fragen, ob die Autorin hier nicht den Teufel an die Wand malt. Was ist an dieser Rede so gefährlich, es geht doch nur um eine gesetzliche Regelung für nur ein paar tausend Menschen. Wieso sollte ein Gesetz, das die Änderung des Personenstandes und des Vornamens von trans- und intersexuellen Menschen regeln soll, meine persönlichen Grundrechte gefährden, ich bin doch gar nicht davon betroffen?
Die Antwort auf diese Frage ist leicht zu finden. Ersetze „Transsexualität“ und „Intersexualität“ durch eine beliebige andere Eigenschaft, die ein Mensch haben kann. Sei es nun die Hautfarbe, die Religion, die Staatsangehörigkeit, was immer man möchte.
„Weiße und Schwarze sind eben nicht gleich und können daher auch nicht gleich behandelt werden…“, „Männer und Frauen sind eben nicht gleich und können daher auch nicht gleich behandelt werden…“, „Behinderte und Nicht-Behinderte sind eben nicht gleich und können daher auch nicht gleich behandelt werden…“.
Und wenn man nun in das dunkelste Kapitel unserer deutschen Geschichte zurückblickt, dessen Wiederkehr mit dem Grundgesetz verhindert werden soll, dann erkennt man schnell die Parallelen. Die Nationalsozialisten führten das „Divide et impera“ (Teile und herrsche) zur „Perfektion“. Sie teilten Menschen anhand von Eigenschaft, ihrer Religion, ihrer politischen Gesinnung, ihrer sexuellen Orientierung oder anhand körperlicher Gebrechen in „lebenswert“ und eben „nicht lebenswert“ ein. Sie verweigerten diesen Gruppen grundsätzliche Rechte und gestanden diese Rechte nur denen zu, deren Eigenschaften ihrer Ideologie entsprachen.
Dieses Einteilen von Menschen anhand körperlicher Eigenschaften findet derzeit bei der Reform des Personenstandsrechts für intersexuelle und transsexuelle Menschen statt. Ohne mediale Aufmerksamkeit und mit Billigung derer, die es eben nicht betrifft. Diese Lethargie, diese Gleichgültigkeit in Sachen „Minderheitenrechte“ durch große Teile unserer Gesellschaft, ermöglicht es den augenscheinlich demokratischen Politikern ungehindert an dieser „Bombe“, die unser Grundgesetz dauerhaft zerstören kann, weiter zu bauen.
Wenn die Mehrheit der Menschen in Deutschland, die mit der Zuweisung ihres Geschlechts bei Geburt einverstanden sind, sich nicht mit transsexuellen und intersexuellen Personen solidarisieren und weiter die Augen verschließen, dann werden sie sich bald den Worten des evangelischen Theologen, Martin Niemöller besinnen müssen:
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Martin Niemöller
Am 26.05.2019 haben wir es bei der Europawahl in der Hand, diese Entwicklungen in die Schranken zu weisen. Wir alle zusammen müssen darum kämpfen, dass wir auch in 70 Jahren noch stolz auf unser Grundgesetz zurückblicken können. Vielleicht schaffen wir es ja bis dahin, dass Artikel 1 bis 3 dann auch für alle Menschen in unserem Land gilt.