Am Freitag, den 17.05.2019 fand im Deutschen Bundestag auf Antrag von B90/Die GRÜNEN eine aktuelle Stunde zum Thema „Maßnahmen gegen Homo- und Transfeindlichkeit und für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ statt. Bevor Sie, lieber lesender Mensch sich nun gelangweilt abwenden und denken, interessiert mich nicht, bin ja nicht schwul, lesbisch, bisexuell, transsexuell, transident, transgender, intersexuell, queer…
Stop! Es betrifft alle Menschen, die in unserem Land leben
Es geht nicht nur um Minderheitenrechte, es geht um die Rechte, die unser 70-jähriges Grundgesetz allen Menschen zugestehen sollte. Solte? Ja, denn die Artikel 1 bis 3 des Grundgesetzes sind nicht für alle Menschen gültig. Doch, der Reihe nach.
Bei oben genannter aktueller Stunde trat der Bundestagsabgeordnete Axel Müller (CDU) als erster Sprecher ans Rednerpult. Vielleicht hören (schauen) Sie sich die Rede auch mal an, sind nur ein paar Minuten. Aber die haben es in sich.
Die Rede von MdB Axel Müller (CDU) vom 17.05.2019 steht auf der Webseite des Deutschen Bundestages zur Verfügung. Unter diesem Link gelangen Sie direkt zum Beitrag: https://dbtg.tv/fvid/7356290
Gegen Ende der Rede (bei 4:30) machte Axel Müller eine Aussage, die uns alle aufhorchen lassen sollte, nein: muss!
„Gleiches wird gleich und Ungleiches wird ungleich behandelt.“
Axel Müller (CDU), Plenarprotokoll vom 17.05.2019, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19102.pdf#P.12504
Der Redner ist der Ansicht, dass es der Regierung erlaubt sei, eine Ungleichbehandlung von transsexuellen und intersexuellen Menschen in Gesetzen festzuschreiben. Transsexuelle Menschen sind nicht gleich, wie intersexuelle Menschen und haben deshalb auch nicht dieselben Rechtsansprüche, leitet Axel Müller daraus ab.
Nun, dass manche „wertkonservative“ Politiker vorsätzlich die aktuellen Erkenntnisse neuerer Wissenschaften, wie Neurowissenschaften oder Genforschung, zu den Möglichkeiten, die die Natur für die Geschlechtsentwicklung von Lebewesen vorgesehen hat, ignorieren und an ihrem ideologischen Weltbild der „Heteronormativität“ und „Binarität der Geschlechter“ festhalten, das kennen wir. Doch was Herr Müller in seiner Rede zum Ausdruck bringt, geht über das Verleugnen von Tatsachen hinaus. Mit seiner Aussage, „Gleiches wird gleich und Ungleiches wird ungleich behandelt“ führt uns der Jurist vor Augen, dass Menschen, anhand von beliebigen Kriterien definiert, sortiert, kategorisiert und damit von anderen Menschen als „nicht gleich“ abgegrenzt und getrennt werden können und mit anderen gesetzlichen Rechten versehen werden werden können.
Man kann nun daraus folgern, dass Menschen grundsätzlich ungleich behandelt werden dürfen, da sich immer ein Kriterium finden wird – sei es die Hautfarbe, das Geschlecht, die Religion etc. – das einen Menschen vom anderen „ungleich“ macht.
Mich haben diese Aussagen von Axel Müller nicht in Ruhe gelassen, so dass ich ihm noch gestern Abend einen offenen Brief geschrieben habe:
Lieber Axel Müller, zunächst sind Sie mir, als Bundestagsabgeordneter der CDU meines Landkreises Ravensburg bei einer sehr emotionalen Rede (zur Ehe für Alle) am 30.11.2018 aufgefallen. Sie hatten damals, in Richtung der AfD eindringlich darauf gedrängt, dass demokratische Spielregeln zu akzeptieren wären. Sie haben der AfD unmissverständlich klargemacht, dass das Gesetz zur Ehe für Alle auf Rechtsklarheit und Rechtssicherheit abzielt und diese Punkte erreicht seien. Im Kopf blieb mir aber Folgendes: "Mein Großvater war im KZ, und er hat mir eines mitgegeben: Wenn solche Kräfte wieder in ein Parlament einziehen, verteidige die Demokratie mit allem, was du hast, notfalls mit deinem Leben!" Das hatte mich schwer beeindruckt, obwohl ich beileibe keine Anhängerin oder Sympathisantin der CDU bin. Ich hatte Ihnen mein Hochachtung darüber über den Facebook-Messenger geschrieben und Sie haben meine Freundschaftsanfrage angenommen. Wissen Sie, lieber Herr Müller was Ihre eindrucksvolle Rede bei mir aber auch ausgelöst hat? Ich werde es Ihnen verraten. "...verteidige die Demokratie mit allem, notfalls mit deinem Leben." Genau das wollte ich machen, noch nicht bis zur tödlichen Konsequenz, aber mit allem was ich derzeit an rechtsstaatlichen Möglichkeiten habe. Wenn Sie sich nun fragen, was ich persönlich im Moment an unserer Demokratie zu verteidigen habe, dann lesen Sie bitte weiter. Ich habe heute Ihre Rede in der Aktuellen Stunde zu "Maßnahmen gegen Homo- und Transfeindlichkeit und für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt" im Deutschen Bundestag verfolgt. Sie sagten heute: "Es ist auch nicht akzeptabel, dass Minderheiten, gleich aus welchem Grunde, rassisch oder geschlechtlich diskriminiert werden." Soweit war ich noch bei Ihnen. Als Sie jedoch Bezug darauf nahmen, dass das Thema (Anm.: Homophobie/Transphobie) wohl keiner größeren Aufmerksamkeit bedürft hätte, da es medial nicht entsprechend präsent sein, da fing ich an, mich inhaltlich von Ihnen zu verabschieden. Sicher, die mediale Aufmerksamkeit transsexueller Menschen bezieht sich meist auf Darstellungen, die der Lebensrealität dieser Menschen nicht entspricht. Meist dient die mediale Berichterstattung eben nur dem Bedienen des Voyeurismus der Leser*innen bzw. Zuschauer*innen. Sie führten weiter aus, dass Sie mit "Vertretern der betroffenen Gruppen und einzelnen Personen in einem intensiven Austausch" stünden. Nun, Herr Müller, ich bin persönlich in diesen besagten Gruppen sehr gut vernetzt und, wie Sie wissen, selbst eine solche Person. Mir ist nicht bekannt, dass von Seiten der CDU/CSU ein, wie Sie sagten, intensiver Austausch bzw. Dialog stattfindet und auch ich erhielt bisher nicht die Chance, einem Vertreter der CDU/CSU oder Ihnen in einem persönlichen Gespräch die Sichtweise einer transsexuellen Person darzustellen. In Ihrer weiteren Rede konnten Sie es sich nicht verkneifen, das Thema würde nur aus wahltaktischen Gründen auf der heutigen Tagesordnung stehen. Ihre weiteren Ausführungen haben mir aber gezeigt: Nein, es geht nicht nur um Wahlen. Unser Anliegen würde, nach Ihrer Aussage, "nicht mehr so die Gemüter bewegen, wie es schon einmal der Fall gewesen ist". Was wollen Sie uns transsexuellen Menschen damit sagen? Die Politik, die Medien und die Gesellschaft interessieren sich nicht mehr für uns, deshalb sind unsere Anliegen unwichtig? Ich empfinde es doch als reichlich vermessen, dass gerade Sie einer Minderheit, die nicht über entsprechende finanzielle Mittel für Lobby- und Medienarbeit verfügt, die, aufgrund der immer noch existierenden Fremdbestimmung und Pathologisierung öffentlich nicht wirklich ernst genommen wird, nicht für genügend öffentliches Interesse gesorgt hat. Es geht um den grundlegenden Umgang Ihrer Fraktion mit uns transsexuellen Menschen. Herr Müller, es geht um Demokratie. Sollte nicht ein Rechtsstaat auch einer Minderheit die Möglichkeit verschaffen, ihre Anliegen - auch ohne großen Medienrummel - Gehör zu verschaffen? Und dann warfen Sie denjenigen, die sich für unsere Anliegen stark machen vor, damit vor allem die AfD zu stärken. Ich hoffe, Sie bemerken selbst, wie widersprüchlich Ihre Ausführungen sind. Sie verwiesen mehrfach darauf, dass, wenn man "Betroffenen" (ich interpretiere, dass Sie damit transsexuelle und intersexuelle Menschen meinen) etwas Gutes tun möchte sollte man ihre Probleme lösen und nicht nur darüber reden. Der Ansatz ist gut. Ich hätte einen Vorschlag, wie Sie das tun könnten. Reden Sie mit uns und nicht über uns. Hören Sie uns zu und nehmen Sie uns ernst. Glauben Sie mir (oder anderen transsexuellen Menschen), dass wir ganz genau wissen, wer wir sind und was wir sind. Wir benötigen hierfür keine Expertise eines selbsternannten Experten, der uns ein Zertifikat über unser Geschlecht ausstellt. Wir brauchen Unterstützung. Auch die Ihre, lieber Herr Müller. Sie und Ihre Fraktion haben die Macht, uns transsexuellen Menschen dieselben Rechte zuzugestehen, die Sie ganz automatisch für sich beanspruchen: In dem Geschlecht anerkannt zu werden, von dem Sie wissen, dass Sie es haben. Was mich aber dazu bewogen hat, Ihnen diesen Brief zu schreiben, das war am Ende Ihrer Rede zu hören. Und nun verzeihen Sie mir, wenn ich meine gute Kinderstube etwas außer Acht lasse. Sie sagten "Gleiches wird gleich und Ungleiches wird ungleich behandelt." Diesen Satz musste ich erst auf mich wirken lassen. Sie möchten damit zum Ausdruck bringen, dass transsexuelle Menschen nicht gleich sind, wie intersexuelle Menschen. Warum? Weil diese beiden Personengruppen körperliche Merkmale aufweisen, die sie unterscheiden? Herr Müller, wie nennen wir es, wenn z.B. ein Staat Menschen mit dunkler Hautfarbe weniger Rechte zugesteht, als denen mit weißer Hautfarbe? Richtig, Apartheid. Das was Sie in Ihrer Rede heute zum Ausdruck gebracht haben hat mich aufs Tiefste schockiert. Sie sagen mit aller Deutlichkeit, dass ich, als transsexuelle Frau aufgrund körperlicher Merkmale nicht dieselben Rechte habe, wie eine intersexuelle Person. Sie diskriminieren mich aufgrund einer vermeintlichen körperlichen Unterscheidbarkeit! Sollten Sie anderer Ansicht sein, so erklären Sie mir bitte den Unterschied eines körperlichen Merkmals wie Hautfarbe oder äußere Geschlechtsmerkmale. "Intersexualität und Transsexualität sind eben nicht gleich und können daher auch nicht gleich behandelt werden", so Ihre Aussage. Dass diese Worte jeglicher Wissenschaftlichkeit entbehren, das zeigt, Ihnen und vielen Ihrer Fraktionskolleg*innen fehlt es an jeglicher Fachkompetenz, wie Geschlechtsentwicklung erfolgen kann, maßen sich aber an, beurteilen zu können, welche Rechte daraus abzuleiten sind. Zu Anfang dieses Briefes bezog ich mich auf Ihre Rede vom November letzten Jahres und auf Ihre, damals eindrucksvolle Aussage "verteidige die Demokratie mit allem, was du hast, notfalls mit deinem Leben!". Herr Müller, heute haben gerade Sie mir und anderen transsexuellen Menschen deutlich gemacht: Ja, wir müssen kämpfen. Kämpfen für unsere Rechte, für Menschenrechte. Wir müssen das Wenige, das andere transsexuelle Menschen in den letzten Jahrzehnten vor uns erreicht haben, verteidigen. So wie es aussieht, müssen wir auch gegen Menschen wie Sie ankämpfen, die uns nicht als gleichwertige Menschen betrachten, uns in unseren Grundrechten beschränken. 70 Jahre Grundgesetz. Artikel 1 bis 3 unserer Grundgesetzes scheint nicht für alle Menschen zu gelten. Gemäß Ihrer Definition ist das wohl auch in Ordnung, denn wir sind ja nicht gleich wie andere Menschen und deshalb auch nicht gleich zu behandeln. Ich bin enttäuscht, ich bin traurig und ich bin wütend. Lena Balk
Heute werden transsexuelle und intersexuelle Menschen
kategorisiert und mit unterschiedlichen Rechten ausgestattet.
Morgen sind es Frauen und Männer, Behinderte und Nicht-Behinderte, Junge und Alte, Weiße und Schwarze, Dicke und Dünne, Christen und Nicht-Christen, Deutsche und Nicht-Deutsche…
Wenn unsere Gesellschaft es zulässt, dass die Regierung Menschen anhand von beliebigen Eigenschaften als ungleich definiert und damit unterschiedliche Rechte zuteilt, dann können wir Artikel 3 Abs (1) unseres Grundgesetzes
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
ersatzlos streichen und damit unseren Rechtsstaat zu Grabe tragen.